Mit Entsetzen und großer Bestürzung haben wir als Vertretung der Katholikinnen und Katholiken im Bistum Speyer zur Kenntnis nehmen müssen, dass es im Speyerer Kinderheim der Niederbronner Schwestern durch einen früheren Generalvikar des Bistums und wohl auch mehrere weitere Priester zu 1000-fachem Kindes-Missbrauch und massiver sexualisierter Gewalt gekommen ist. Es ist für uns unvorstellbar, dass sich der zweithöchste Repräsentant des Bistums unterstützt durch Ordensschwestern, denen wehrlose junge Menschen anvertraut waren, über viele Jahre hinweg schwerster Straftaten an diesen Kindern und Jugendlichen schuldig gemacht hat.
Wir sind in Gedanken vor allem bei den Betroffenen und schenken Ihnen unser Mitgefühl.
Die Menschen im Bistum und weit darüber hinaus fühlen sich verletzt. Das Geschehen lässt uns als engagierte Christinnen und Christen verzweifelt und ohnmächtig zurück. Wir befürchten zudem, dass noch zahlreiche weitere Vorfälle dieser Art ans Licht kommen werden. Auch müssen wir ernsthaft damit rechnen, dass die Vertuschung solcher Ereignisse auch an anderer Stelle eher die Regel war. Es erschüttert uns, für eine Kirche zu stehen, die so ein Grauen zugelassen hat und sich immer noch nicht in der Lage sieht, schnell und konsequent das zu verändern, was nötig ist, um weiteres Leid zu verhindern und Vertrauen zurückzugewinnen.
Wie die zahlreichen Vorfälle belegen, ist sexualisierte Gewalt seit langem ein strukturelles Problem in der katholischen Kirche. Das Leid der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen, die von sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche betroffen sind, erschüttert uns zutiefst. Unsere Kirche muss sich dieser schweren Schuld als Ganzes und in allen ihren Teilen bedingungslos stellen.
Wir begrüßen es ausdrücklich, dass sich unser Bischof Dr. Karlheinz Wiesemann dieser schweren Verantwortung bewusst ist, in Transparenz und Offenheit die schrecklichen Taten und die bekannten Täter benennt und sich um eine umfassende Aufarbeitung und Entschädigung der Opfer bemüht.
Als Katholikenrat im Bistum Speyer versprechen wir – anknüpfend an unsere Stellungnahme vom Februar 2019 – erneut, uns unermüdlich für eine umfassende Aufarbeitung der Vorfälle, gegen sexualisierte Gewalt und für eine Veränderung von Strukturen einzusetzen, die diese schlimmen Taten ermöglicht haben. Wir fordern die schnelle Einsetzung der angekündigten Kommission zur Aufarbeitung der Vorfälle und werden darin umfassend mitarbeiten. Wir versprechen, die Bemühungen des Bischofs auch darüber hinaus im Rahmen unserer Möglichkeiten zu unterstützen.
Das Problem hat offenkundig strukturelle Ursachen. Kirchliche Strukturen, die - wie es die im September 2018 veröffentlichte Missbrauchsstudie nahelegt – den Missbrauch begünstigen, sind nicht mehr länger tragbar. Wir brauchen grundlegende Veränderungen, nachhaltige Reformen, auch in der kirchlichen Lehre und im Kirchenrecht. Der durch die Deutschen Bischofskonferenz und das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken begonnene Synodale Weg hat die Themen klar benannt und die erforderlichen Reformschritte hinsichtlich der Sexualmoral der Kirche, der Veränderungen der Machtstrukturen, der Zulassung von Frauen zu allen Weiheämtern und der Ausbildung einer umfassenden Dialog- und Konfliktkultur auf allen Ebenen beschrieben. Die notwendigen Entscheidungen dulden im Interesse unserer Glaubwürdigkeit keinen Aufschub.
Eine Kirche, die solche Ereignisse zu verantworten hat, muss den schmerzhaften Weg der Aufarbeitung und der konsequenten Reformschritte gehen, wenn sie die Frohe Botschaft Jesu Christi, die gerade an Weihnachten trotz der uns umfassenden Dunkelheit besonders hell strahlt, noch glaubwürdig verkünden will – JETZT!
Aufarbeitung vorantreiben-Strukturen verändern-jetzt.pdf
Speyer, den 14.12.2020